Das Land hat Konjunktur: In den Medien, der Literatur und der Wissenschaft aber auch ganz praktisch in den Lebensentwürfen vieler Menschen in Deutschland nimmt ein Leben auf dem Land eine zunehmend größere Rolle ein. Dabei treffen individuelle Vorstellungen eines guten Lebens auf die strukturellen Bedingungen ländlicher Räume, die durch vielfältige Wandlungsprozesse geprägt sind.
Den Wandel zu gestalten und die Lebensqualität zu erhöhen, ist Aufgabe vieler Instrumente der Ländlichen Entwicklung. Allzu oft wird die Bewertung von Fördermaßnahmen jedoch eng an wirtschaftliche Faktoren gekoppelt und läuft damit Gefahr, Prosperität und Lebensqualität gleichzusetzen.
Doch welche Aspekte abseits einer ökonomischen Wertschöpfung tragen zu einem guten Leben auf dem Land bei? Und welche Potentiale liegen in einer Regionalentwicklung, die Wertschöpfung in einem mehr-als-ökonomischen Sinne versteht? Kurz: Welche Werte braucht das Land?
Diese Fragen standen im Mittelpunkt des Fachforums, zu welchem die DVS gemeinsam mit der BAGLAG, der ASG und dem EKD-Büro Brüssel eingeladen hatte. Die etwa 140 Teilnehmenden vor Ort sowie die im Maximum 185 Interessierten im Livestream erwartete dabei ein abwechslungsreiches Programm aus theoretisch reflektierten Denkanstößen und praktischen Eindrücken von drei dem Gemeinwohl und der Gemeinschaft zugewandten Projekten aus ländlichen Regionen.
Sinn stiften…
Zu Beginn stimmte ein kurzer Impulsbeitrag von Pastor Dr. Frank-Martin Brunn die Teilnehmenden auf das diesjährige Fachforum ein. In seinen Überlegungen stellte er die enge Verflechtung sozialer, ökologischer und ökonomischer Faktoren als Grundlage von WERTschöpfung, WOHLstand und LebensQUALITÄT heraus und unterstrich zugleich ihre sinnstiftende Bedeutung.
Für den Kontext der Regionalentwicklung sei es daher wichtig, die sozial-ökonomisch-ökologischen Zusammenhänge menschlichen Seins wahrzunehmen und eine Werte orientierte Praxis daran auszurichten. Der Aufbau und die Pflege sozialer Beziehungen sowie ein verantwortungsvoller und achtsamer Umgang mit den Ressourcen von Mensch und Natur böten hierfür mögliche Orientierungspunkte.
…und Bilder des guten Lebens entwerfen
Im darauf folgenden Keynote-Vortrag ging die Journalistin und Autorin Petra Pinzler der Frage nach, wie ein gutes Leben abseits von Konsumzwängen und Profitstreben aussehen könnte. Ausgangspunkt hierfür ist die bereits in ihrem Buch „Immer mehr ist nicht genug! Vom Wachstumswahn zum Bruttosozialglück“ (2011, Pantheon Verlag) formulierte These, dass wirtschaftliches Wachstum und materieller Wohlstand nicht zwangsläufig und per se Indikatoren für ein gutes Leben sind. Damit wolle sie nicht die Tatsache negieren, dass ein gewisses Maß an materiellem Reichtum Menschen von Existenzängsten und Sorgen befreie, doch sei festzustellen, dass unser gegenwärtiges Konsumverhalten vielfach eine bisweilen unbeantwortete Suche nach Zufriedenheit und Glück darstelle.
Bestärkt werde diese Suche durch tief in die Gesellschaft eingelassene Statussymboliken und Vergleichslogiken, aber auch eine Politik, in der Wachstum zum Imperativ des Handelns geworden sei – hier allen voran ökonomisches Wachstum. Dementgegen brauche es Narrative und Zukunftsbilder, die ein gutes und glückliches Leben abseits ökonomischer Kennzahlen entwerfen, und vor allem ein gestärktes Gefühl, den Weg dorthin selbst mitgestalten zu können.
Unterwegs zum guten Leben
Erste Eindrücke davon, wie diese Bilder aussehen könnten und welche Gestaltungsmöglichkeiten es in den ländlichen Regionen gibt, erhielten die Teilnehmenden dann im zweiten Teil des Fachforums.
Zunächst konnten sie mit Hilfe einer Slido-Umfrage ihre eigenen Vorstellungen eines guten Lebens und einer diesem Leben zugewandten Regionalentwicklung skizzieren. Auffällig war hierbei, dass Motive der Gemeinschaft und des Gemeinwohls in der gesamten Umfrage eine große Beachtung fanden: Zum einen als Aspekte, die Menschen in ihrem gegenwärtigen Lebensumfeld bereits schätzen – zum anderen aber auch als Werte, die im Lebensumfeld eine noch stärkere Rolle einnehmen sollten. Dementsprechend fiel der abschließende Aufruf, Aspekte der Lebensqualität zu nennen, die durch Förderprogramme stärker unterstützt werden sollten, mit den Schlagworten „Zusammenhalt“ und „Ehrenamt“ auch deutlich aus.
Diese Deutlichkeit überraschte die beiden Referierenden Pastor Dr. Frank-Martin Brunn und Petra Pinzler nicht. In einer kurzen Replik auf die Umfrage stellten sie nochmals die produktive Kraft von Gemeinschaft und Gemeinwohlorientierung heraus. Sie betonten die Wichtigkeit von Orten und Anlässen der Begegnung und des Austausches in ländlichen Regionen. Eine erste Antwort auf die von Petra Pinzler formulierte Frage „Wie kommt man nun dahin, diese Wünsche und Werte zu realisieren?“ gaben abschließend drei bildstarke Vorträge über LEADER geförderte Projekte:
Die Projektvorstellungen verdeutlichten damit noch einmal den Grundtenor des Fachforums: Zum guten Leben auf dem Land zählen neben ökonomischen Sicherheiten insbesondere eine intakte Gemeinschaft sowie Freiheiten und Möglichkeiten zur gemeinwohlorientierten Mitgestaltung. Diese Werte werden wesentlich durch das Engagement der Menschen vor Ort vermittelt und getragen.
Es braucht aber auch Ansätze der Ländlichen Entwicklung, die diese dabei unterstützen. Für eine nachhaltig gelingende und an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtete Förderstruktur ist es daher wichtig, dass diese die gemeinwohlorientierten Vorstellungen eines guten Lebens teilt und sie entsprechend in ihren Bewertungs- und Fördermaßstäben abbildet.