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Fachforum 11 auf dem Zukunftsforum Ländliche Entwicklung des BMEL, 22. Januar 2025 in Berlin
Welche gesellschaftliche Rolle spielt die Begegnung? Wie bildet sich eine vielfältige Gemeinschaft, ohne Einzelne oder Gruppen auszugrenzen? Wie sehen Orte der alltäglichen Begegnung praktisch aus?
Antworten auf diese Fragen standen im Mittelpunkt des Fachforums, zu dem die DVS gemeinsam mit der BAG LAG, der ASG und dem Büro Brüssel der Evangelischen Kirche eingeladen hatte. Rund 160 Personen waren vor Ort – weitere knapp 200 Interessierte verfolgten die Veranstaltung im Livestream.
Der Soziologe und Autor Rainald Manthe ist überzeugt, dass zwanglose, zufällige und alltägliche Begegnungen wichtig für Vertrauen und gesellschaftlichen Zusammenhalt sind und damit für das demokratische Miteinander. In seinem Vortrag erläuterte er, dass es immer weniger Möglichkeiten zur alltäglichen Begegnung in Präsenz gebe – bedingt durch Individualisierung und Digitalisierung. Doch dadurch ist man "immer weniger irritiert von anderen Lebensentwürfen".
Der Abbau öffentlicher Infrastrukturen wie Schwimmbäder oder Bibliotheken und die Entmischung der Wohnumgebungen senke die Zahl der Möglichkeiten, sich jenseits des eigenen Milieus zu begegnen. Daher sei es wichtig, "neue" Alltagsorte in den Blick zu nehmen, an denen sich Menschen regelmäßig aufhalten – ob Garten- und Baumärkte oder Möbelhäuser.
Rainald Manthe betonte, dass multifunktionale "Mehrwert-Orte" wichtig für zufällige Begegnungen sind, da unterschiedliche Menschen sie aus unterschiedlichen Gründen aufsuchen. Dadurch können diese Begegnungen "demokratische Irritationen" auslösen: Das führe zu dem Effekt, dass die Beteiligten eigene Stereotype hinterfragen und andere Positionen als legitim ernst- und wahrnehmen.
Zurückgehendes Vertrauen in die Demokratie, spezifische Qualitäten von Begegnungsorten, Werte und Wertschätzung anderer Standpunkte waren Teil der Diskussion mit Rainald Manthe im Anschluss an seinen Vortrag.
Informationen zu filtern und schnell zu verarbeiten, ist im Alltag überlebenswichtig. Wichtig sei jedoch auch, die eigenen Maßstäbe – und Vorurteile – zu kennen und zu reflektieren, betonte Kirsten Rusert von der Universität Vechta. Sie leitete die interaktiven Gruppenarbeiten ("Punkte-Übung") an. Die Teilnehmenden erlebten intensiv, wie herausfordernd es sein kann, Vielfalt gerecht zu werden, ohne Menschen auf einfache Kategorien zu reduzieren.
Die Übung sensibilisierte die Teilnehmenden für die eigenen Vorurteile, die unreflektiert schnell zu falschen Schlüssen führen. Kirsten Rusert stellte beispielsweise das Modell der Multikollektivität vor, das erklärt, warum wir anderen offen gegenübertreten können. Und sie weist darauf hin, dass die von Rainald Manthe erwähnten demokratischen Irritationen nur dann eine Chance haben, etwas zu bewegen, wenn sie mit einer offenen Haltung angenommen werden. "Nur so kommen wir aus unserer gedanklichen Komfortzone heraus."
Kirsten Rusert ist Ko-Autorin der Handreichung zur erfolgreichen Ausbildung von Auszubildenden mit Fluchterfahrung
• Kontakt zu Kirsten Rusert
Drei inspirierende Beispiele für gelungene Begegnungsräume rundeten die Veranstaltung ab.
Nahversorger, Kommunikationszentrum, Begegnungsstätte – das Bremkertaler Lädchen erfüllt gleich mehrere Funktionen in Bremke, einem 750–Seelen-Dorf in der niedersächsischen Gemeinde Gleichen. Neben vielen Dienstleistungen und Lebensmitteln gibt es auch im angeschlossenen kleinen Café die Möglichkeit, sich zu begegnen. 2014 gründeten engagierte Menschen den Förderverein "Dorfladen Bremke e. V.", um den Laden zu erhalten.
Viele Ehrenamtliche unterstützen das kleine Geschäft beim Verkauf, beim Füllen der Regale und beim Dekorieren der Schaufenster. Bei Bedarf liefern sie Waren zu Kunden nach Hause. Der Laden hat sich in seiner hundertjährigen Geschichte vielfach gewandelt – eines ist er immer gewesen: Treffpunkt und Nachrichtenbörse in Bremke.
Im Haus der Vielfalt in Neuruppin in Brandenburg begegnen sich Menschen unterschiedlicher Herkunft. Das Haus ist ein Projekt des diakonischen Vereins ESTAruppin. ESTA steht für "Einsetzen statt aussetzen". Dort berät die Initiative Zugewanderte, es gibt beispielsweise Raum für einen Weltladen, das Schwangeren-Frühstück, eine Krabbelgruppe, das Netzwerk gesunde Kinder, eine kleine Moschee oder das Sprach-Café.
Auch die Feste und Angebote des Hauses der Kultur in Dorfkirchen und Räumen in der Region sind eine Möglichkeit, sich zu begegnen und eine offene, vertrauensvolle Kultur zu pflegen.
Die Initiative Schwarzatal bringt das Kino ins Dorf und lässt die Leinwand durch die Thüringer Verwaltungsgemeinschaft Schwarzatal reisen. Vereine und andere Engagierte in den Dörfern schaffen den Rahmen und kümmern sich beispielsweise um die Verpflegung der Kinobesucher. Filme und Technik stammen von der Initiative Dorfkino, die vom Filmklub Güstrow ins Leben gerufen wurde.
Die einzelnen Aufführungen in Schwarzatal sind sehr unterschiedlich. "Alle vereint, dass es eigentlich nicht um den Film geht, sondern um das, was vor und nach dem Film passiert. Es entstehen Gespräche, die sonst nicht entstanden wären, es treffen Menschen aufeinander, die nicht dieselben Ansichten teilen und sich im Dorf nicht oft über den Weg laufen", sagte Robin Kallenbach von der Initiative Schwarzatal.
Bei Interesse können sich Initiativen in Thüringen beim Filmklub Güstrow anmelden.
Stefan Kämper
0228 68 45 37 22
stefan.kaemper@ble.de